Pandemie: die alte Frau Schmidt🌷

Begegne Frau Schmidt heute morgen. Sie wirkt müde. Ihre Augen sind eingefallen. Schwerfällig schiebt sie ihren Rollator die Straße entlang.

Rufe ihr ein lautes „Hallo!“ zu.

Sie hebt unsicher den Kopf. Erkennt mich. „Wie gerne würde ich Sie jetzt knuddeln!“ Ihr Kopf senkt sich wieder. „Ich Sie auch!“ erwidere ich.

Mit einem intensiven erneuten Blick zieht sie mich in ihren Bann. Schlägt sich die Hand vor den Brustkorb und sagt mit tränenerstickter Stimme: „Ich halte diese Stille kaum mehr aus. Wenn nur diese Stille nicht wäre.“

Mir kommen die Tränen im Angesicht ihrer Einsamkeit, die der Pandemie geschuldet ist. Zupfe rasch eine der letzten Tulpen aus dem Vorgarten und reiche sie ihr hinüber.

Sie setzt ihren Weg fort.

Ich weiß nicht, ob ihre Kräfte reichen werden bis zur Rückkehr in eine relative Normalität. Ob sie der sozialen Distanzierung stand halten kann. Ob wir uns wiedersehen werden zum gemeinsamen Singen und Lachen. Ich weiß es nicht.

15 Kommentare zu „Pandemie: die alte Frau Schmidt🌷

    1. Alle geselligen Anlässe sind für sie weggefallen, gemeinsame Mittagessen, Gottesdienste, SeniorINNEN:Veranstaltungen. Auch die Beerdigungen. Ihre Kinder kümmern sich gut um die alltägliche Versorgung. Aber,… Ich werde diesen Moment nie vergessen..
      Danke für Deine Resonanz.

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      1. Und da weder telefonischer noch virtueller Kontakt das wettmachen können, fehlt dann eigentlich alles, was es zum Leben (wohlgetrennt vom Überleben) braucht. Das haben introvertierte (und darüber hinaus junge) Leute wie ich nicht so richtig auf dem Schirm.
        Dazu kommt eine nagende Ungewissheit, bei euch beiden, die in mir den Wunsch weckt, euch beide in den Arm zu nehmen.

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  1. Das ist die Kehrseite der Isolation. Eigentlich als Schutz gerade der älteren Mitbürger eingeführt, führt sie auch massiv zu deren Vereinsamung. Nicht gut – doch wer will die Verantwortung für Infektionen tragen?

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  2. Was so schwer zu ertragen ist, dass es Menschen wie Frau Schmidt sind, um derentwillen die geltenden Maßnahmen eingeführt worden sind.
    Inwieweit sollten Leute vor dem geschützt werden, was sie brauchen?
    Es gibt, das Bild vom heilsamen Schnitt des Chirurgen – dieser Schnitt könnte für Viele tödlich enden.
    Danke für das Geteilte,
    Guido

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    1. Als Kind war ich in einer Scharlach:Quarantäne, ausgerechnet im Tirol:Urlaub. Die Krankheit habe ich vergessen. In Erinnerung geblieben ist ein unendlicher Schmerz. Stehe am Fenster. Meine Eltern stehen draußen, winken mir zu … und wenden sich ab. Gehen fort. Ich bin vier Jahre alt.
      Das, was uns schützt und nützt kann gleichzeitig sehr weh tun.

      Die Kommentare zur alten Frau Schmidt berühren mich. In den letzten Jahren hatte ich beruflich viel mit Hoch:Betagten zu tun. Das hat meine Welt:Erfahrungen aufs Beste erweitert. Und gerade Frau Schmidt ist mit ihren 90 Jahren voller Güte, Höflichkeit und Pepp. Sie hat mir eins meiner Lieblings:Komplimente gemacht: „Mit Ihnen rede ich so gerne über das Sterben reden. Meine Kinder wollen das nicht hören.“

      Wünsche Dir einen guten Sonntag.

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      1. Ich bin beruflich im Hospizereich tätig, und jedes geteilte Wort, jedes Mitgehen kann ein solches Gewicht haben – und einige Menschen, die begleitet werden, lassen die Frage aufkommen, wer eigentlich wen begleitet.
        Das Kosbtbarste sind immer die Begegnungen – und es ist etwas Trauriges, zu wissen, dass in diesen Tagen viele mögliche Begegnungen – Beratungen auf dem Weg eines Telefonates oder eines Treffens in einem Raum mit ausreichend Raum – nicht wahrgenommen werden. Dabei nimmt der Bedarf an Unterstützung nicht ab.
        Die Pflegeheime besonders können zu Orten einer Traurigkeit werden, die ihre Wurzel darin hat, dass ihr ein wirkliches Gegenüber felht.
        Vieles mag eine Frage der richtigen Vermittlung sein – und der Hoffnung, das die Flaschenpost ihre Adressaten erreicht…

        Liebe Grüße und alles Gute Dir

        Guido

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  3. Ich kenne diese neue Stille auch. Nur die ausländische Familie in der Nachbarschaft hört man in ihrem Garten, weil der Wind die Worte herüberträgt.

    Man könnte singen.
    Normalerweise, wenn ein Nichtprofessioneller singt, schauen die Leute missbilligend. So verwöhnt (und aus unserem Gleichgewicht gefallen) sind wir.

    Die alte Damen würde es vielleicht schon aufbauen, wenn du vor ihrem Haus singst. 😀

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